Einst, es war kurz nach dem Urknall, veröffentlichte Atari im Jahre 1977 sein Video Computer System, später in Atari 2600 umbenannt, und schrieb damit Videospielgeschichte. Wir ersparen uns an dieser Stelle das Blättern in Steintafeln, die Historie ist praktisch in sämtlichen verfügbaren Medien haarklein dokumentiert. Wichtung für uns heute: Kürzlich erschien eine Neuauflage in Gestalt des Atari 2600+. Nicht zuletzt aufgrund der wohl um 20 % geschrumpften Maße im Vergleich zum Urmodell drängen sich auf dem ersten Blick Vergleiche zu anderen, in den letzten Jahren in Mode gekommenen Mini-Konsolen anderer Hersteller auf, welche mit vorinstallierten Spielen auf Emulatorbasis daherkommen. Der entscheidene Unterschied beim 2600+ ist, dass dieser zwar auch auf Emulation setzt, seine Spiele aber tatsächlich von originalen Spielmodulen einliest. Offiziellen Informationen zufolge liegt die Kompabilität zwar nicht bei 100 %, was sich durch Firmwareupdates in Zukunft noch ändern könnte.
Rein zufällig hatte ich nun ein solches Plusmodell nebst Paddle-Bundle unter dem Baumfestbaum liegen. Wer der mysteriöse Wohltäter ist und warum wahllos ein übereinstimmender Betrag von meinem Konto abgebucht wurde, wird wohl für immer ein festliches Geheimnis bleiben. Ach, da ist ja die Bestellbestä– Ähem.
Manch einer fragt sich, welche Zielgruppe dieses Produkt ansprechen soll – ich war sofort sold, wie der Engländer sagt: Schon immer wusste ich das Design sehr zu schätzen und die "volle Funktionalität" besiegelte den Deal: Minikonsolen sind schön und gut, doch mir missfiel stets, dass wichtige Merkmale der Originale, wie etwa die Modulschächte nur Zierde und nicht operabel sind; weswegen eine selbstgebastelte Emulationslösung inklusive NESPi 4-Gehäuse meiner bescheiden-autoritären Meinung nach dem originalen Nintendo Classic Mini haushoch überlegen ist (das Cartridge ist ein 2,5 Zoll-Gehäuse für HDD/SSD!), aber ich schweife ab. Beim 2600+ jedenfalls haben alle Schalter und Stecker einen realen Nutzen und obendrein ist die Verarbeitung in meinen Augen über jeden Zweifel erhaben. Das Teil sieht einfach super aus, fühlt sich einfach super an und schmeckt einfach super, Punkt.
Klar, man hat Spiele dieses Alters schon oft irgendwo gesehen oder auch mal selbst angespielt, aber für eine mehr als oberflächliche Beschäftigung mit dieser Generation fühlte ich mich lange viel zu jung, meine eigene Nostalgie beginnt erst mit in den mittleren 90ern mit dem Amiga 500 (1987) nebst dem NES (1986 in Europa). Falls sich jemand wundert: Geld für das neueste Zeug war nicht zugegen und wir wurden daher von Bekannten und dem Gebrauchtmarkt mit alter, günstiger Hardware und Kartonweise handbeschrifteter Disketten (*hüstel*) versorgt. So sieht echte Solidarität aus. Ein ebenfalls gebrauchtes Super Nintendo (1992 in Europa) kam dann gegen Ende seines Lebenszyklus hinzu, erst beim Nintendo 64 (1997 in Europa) war ich zeitnah zum Release mit von der Partie. Moment, worum ging es eigentlich? Ach ja:
Witzigerweise ebneten mir verhältnismäßig neue Entwicklungen nun den Weg in die tiefgraue Vorzeit der Videospiele: In letzter Zeit beschäftigte ich mich ein Wenig mit Pico-8, einer Retro-Fantasiekonsole, die es nie gab. Dort lernte ich dem Atari im Geiste nicht unähnliche, sehr auf das Nötigste reduzierte Spiele zu schätzen und (eingeschränkt, wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen) selbst zu programmieren.
Apropos Spiele – Beigelegt ist dem Hauptgerät eine 10-in-1 Multicartridge, respektive eine 4-in-1 zum Paddleset. Wir müssen an dieser Stelle nicht jedes einzelne ausufernd besprechen, ein paar Gedanken möchte ich dann aber doch gerne loswerden:
Bei allen Fortschritten im Gamingbereich und den riesigen, mehrere hunderte Spielstunden verschlingenden Multimillionen-Dollar-Projekten ist Gigantomanie längst Usus. Das Gegenstück zu einem Becher inklusive ein paar Würfel, deren Kontext und Spielregeln weniger von diesen, sondern von den Spielern vorgegeben und ausgehandelt werden, fühlt sich inzwischen wie ein moderner, frischer Wind an. Video Olymics (1977) etwa ist unter anderem ein Pong-Klon, der eigentlich nur stumpf die Punktestände der Spieler zählt; hier wird keine Zielpunktzahl angegeben oder abgefragt um am Ende einen Spieler als Gewinner zu kühren, dies geschieht vor dem Bildschirm. Ist das Match für die Teilnehmer beendet, wird die Konsole einfach ausgeschaltet, fertig. Nachtrag: Das Spiel endet unzeremoniell, wenn ein Spieler 21 Punkte erreicht, das Betätigen des Reset-Schalters startet erwartungsgemäß eine neue Partie. Ich bin beinahe enttäuscht, muss ich sagen.
Ganz ähnlich verhält es sich bei Maze Craze (1980): Zwei Spieler starten in einem frisch generierten Labyrinth und müssen das Ende am rechten Bildschirmrand erreichen. Der schnellere Spieler löst daraufhin mittels Knopfdruck die Erstellung eines neuen Irrgartens aus und es beginnt erneut von vorne. Hierbei gibt es (zumindest im ersten Spielmodus) keine weiteren Hindernisse oder Zeitlimits – Sogar eine Punkteanzeige ist abwesend. Heute würde man so etwas vielleicht als Microgame bezeichnen. Als besonders charmant scheint mir die Tatsache, dass es standardmäßig auf zwei Spieler ausgelegt ist, doch wenn niemand den zweiten Joystick bedient (falls überhaupt einer angeschlossen ist), bleibt einfach eine Figur am Startpunkt stehen. Da es für den Spielverlauf unerheblich ist, muss nicht erst unterschieden werden, wozu also überhaupt implementieren? Manchmal ist die eleganteste Lösung, einfach nichts zu lösen.
Missile Command (1981) auf der anderen Seite ist ein echter Klassiker der Arcade und aus heutiger Sicht in Sachen Spielgefühl vielleicht das konventionellste Spiel der Sammlung. Wir steuern einen Cursor um bei sukzessive ansteigender Schwierigkeit herannahende Atomraketen vom Himmel zu schießen und möglichst viele Punkte zu verdienen. Angesichts der Weltlage leider auch nach über vierzig Jahren wieder unangenhm aktuell.
Sehr überrascht wurde ich von Night Driver (1980). Die Arcade-Urversion von 1977 gilt als das erste 1st-Person Rennspiel und die Atari-Fassung ist nicht weniger faszinierend und vor allem auch heute noch wirkungsvoll. Im Geschwindigkeitsrausch ist die krude Grafik schnell vergessen, alle Konzentration wird auf das Einhalten der Fahrspur und dem Ausweichen des Gegenverkehrs gelenkt. Probiert es bei Gelegenheit mal aus.
Diese alten Schinken halten sich erstaunlich gut, und doch kann man die letzten Jahrzehnte Evolution des Mediums nicht ignorieren. Es gibt dann aber doch eine Sache, die leider völlig zu Unrecht in den 80ern ausstarb und damit einen massiven Rückschritt in der Entwicklung der Videospiele bedeutete: Die Paddles. Nur wenige moderne Spiele können mit dieser erhebenden Erfahrung Schritt halten, Games im Stile eines Breakout (1978) oder das schon erwähnte Night Driver mit dem geschmeidigen und unglaublich befriedigenden Input eines Drehreglers zu bedienen. Ich sag’s euch: Ihr habt nicht gelebt, wenn ihr diese Erfahrung nie machen durftet. Da das Leben uns quälen möchte, liegen diese der Konsole leider nicht standardmäßig bei, daher erachte ich den Zukauf des Sets für essenziell. Vertrau' mir, Brudi.
Atarispiele (Hier also Stichprobengröße 14) fühlen sich wie ein Werkzeug zum Spielen statt einer monolithischen Gesamterfahrung an, wie moderne Spiele sie anstreben. Diese Zwanglosigkeit macht sie für mich, als jemanden ohne eigenen Nostalgievorrat zu dieser Konsole, besonders interessant. Einziger kleiner Wermutstropfen: Das Gerät gönnt sich beim Starten technisch bedingt ein paar Bedenksekunden um Emulator und Spiel zu laden, was dem rapiden drop-in-/drop-out-Charakter der Spiele doch ein klein wenig zuwider läuft. Dass ausgerechnet in diesem Bereich dekadenalte Technik die Nase vorn behält ist schon witzig, denn jene lädt instantan.
Sorry Leute, ich kann heute nicht zum Spielen rauskommen, ich muss zocken.